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28. März 2024

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Geschlechter und Gefühle und Sexualität

Geschlechter und Gefühle und Sexualität© Bilderbox.com

Geschlechtskombinationen beeinflussen die Psychotherapie bis hin zu erotischen Atmosphären, so aktuelle Forschungsergebnisse der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems, die nun auch Teil der Lehrinhalte werden.

Psychotherapeutische Behandlungen sind nicht frei vom Einfluss des Geschlechts. Das zeigen aktuelle Analysen und die langjährige Forschung von Brigitte Schigl, Leiterin des Studiengangs "Psychotherapie- und Beratungswissenschaften" an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems (KLU Krems).
Geschlechtsidentität beeinflusst demnach die Gefühle sowohl der behandelten Personen als auch von TherapeutInnen. Dies kann in der therapeutischen Beziehung zu speziellen Dynamiken etwa bezüglich Macht bis hin zu sexualisierten Atmosphären führen. Wie solche Entwicklungen in der Behandlung entstehen können, beschreibt eine aktuelle Publikation aus Sicht des Praxisalltags.
Psychotherapie ist emotional. Auch für Therapeutinnen und Therapeuten. Sie müssen mit den Gefühlen ihrer Patientinnen und Patienten "mitschwingen"  und reagieren mit ihren eigenen Emotionen. Was das für den Alltag des Praxisbetriebs bedeuten kann, beschreibt Schigl in einem aktuellen Beitrag für "Psychotherapie im Dialog" des Thieme Verlags.

Baustein des sozialwissenschaftlichen Denkens
Grundlage ihrer Überlegungen ist eine als "Doing Gender" bezeichnete Theorie, die in den letzten Jahrzehnten wichtiger Baustein sozialwissenschaftlichen Denkens wurde. Diese besagt, dass wir Geschlechteridentitäten wie Mann, Frau oder Transsexuelle immer im Austausch mit anderen Menschen herstellen. Das ist meist ein unbewusster Prozess, der unser Verhalten stark beeinflusst. Die Zuordnung unseres Gegenübers wie weiblich oder männlich gibt uns Hinweise, wie wir uns verhalten sollen und das gilt auch in einem therapeutischen Prozess.
"Therapeuten reagieren auch emotional auf Patienten – und umgekehrt. Dieses Aufeinander-Reagieren unter dem Aspekt des Doing Gender zu betrachten, hilft den Verlauf eines Therapieprozesses besser zu verstehen“, so Schigl. Die Expertin beschreibt in ihrer jetzt veröffentlichten Analyse beispielhaft Situationen, die mögliche Problematiken aufzeigen und die auf Basis von Doing Gender erklärt werden können.
Männliche Therapeuten können etwa auf emotionalen Widerstand bei männlichen Patienten treffen, wenn sie sich – aus Sicht des Patienten – zu emotional, also zu "weiblich", verhalten. Das passt dann nicht zum "Männerbild" und kann sogar als bedrohlich empfunden werden. In einer rein weiblichen Therapiesituation hingegen treffen zwei auf Gefühlssensibilität sozialisierte Individuen aufeinander. Das kann große Vertrautheit schaffen, aber auch den Blick verstellen oder Konfrontationen, Dagegenhalten und Ablösung schwierig machen.

Erotik und Psychotherapie
"In gemischtgeschlechtlichen Situationen können dann auch erotische oder sexualisierte Atmosphären eine Rolle spielen, aber nicht nur ausschließlich dort," erläutert Schigl eine andere Problematik des Doing Gender. "TherapeutInnen berichten oftmals von Herausforderungen, die sie mit flirtenden männlichen Patienten haben. Sie empfinden das als unangenehm und manche fühlen sich hilflos." Männliche Therapeuten hingegen bewerten flirtende weibliche Patienten meist weniger problematisch. Tatsächlich herrscht in diesem Setting auch „das höchsten Risiko für sexuelle Übergriffe“ wie Schigl in ihrer aktuellen Publikation zitiert.
Die aktuellen Forschungsergebnisse sowie die Erkenntnisse ihrer jahrelangen Analysen von Gender-und Diversity-Aspekten hat Brigitte Schigl nun auch aktuell in der 2. Auflage des Buchs „Psychotherapie und Gender. Konzepte. Forschung. Praxis.“ (Springer Verlag) veröffentlicht und dieses Wissen fließt auch in das laufende Studium an der KLU Krems ein. Die Privatuniversität bietet den Bachelor-Studiengang "Psychotherapie- und Beratungswissenschaften" an, der einen besonderen Schwerpunkt mit dem Bereich Gender- and Diversity-Health setzt und insbesondere die Gendersensibilität und wissenschaftliche Kompetenz der AbsolventInnen fördern soll.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 08.06.2018