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27. April 2024

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„Der Umgang mit Kindern zeigt die Reife einer Gesellschaft“

„Der Umgang mit Kindern zeigt die Reife einer Gesellschaft“© pexels/alexander dummer

Kindermedizin folgt anderen Mechanismen als die Therapie von Erwachsenen. Der Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ von Kurier und Wiener Wissenschaftsfonds hat mit Spezialisten neue Entwicklungen erörtert.

(red/czaak) Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und das gilt auch in medizinischer Hinsicht. Sie sind hier nicht mit erwachsenen Personen zu vergleichen, ihr Stoffwechsel, die Funktion ihrer Organe oder auch ihr Immunsystem unterscheiden sich grundlegend. Und das erfordert auch eine andere Herangehensweise bei Diagnose und Therapie. Die Kindermedizin spielt auch in der Forschung eine spezielle Rolle und damit beschäftigte sich der aktuelle Wissenschaftstalk, ein Format von Kurier und Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF).

Aktuelles Thema waren neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Pädiatrie, die von Lilian Klebov, Mutter zweier Kinder und Schauspielerin, und Kaan Boztug, renommierter Kinderarzt und wissenschaftlicher Direktor am St. Anna Kinderspital, gemeinsam mit Moderator und Humangenetiker Markus Hengstschläger erörtert wurden. Ein Thema war etwa, welche Parameter braucht es, um den Job als Kinderarzt gut umsetzen zu können.

Laufende Einbindung der Eltern mitentscheidend für Genesung
„Wie in den meisten anderen Berufen muss man mögen, was man macht“, betont Kaan Boztug. „Ich liebe Kinder, deshalb war für mich meine Fachrichtung schnell klar“, so der Kinderarzt. Auch aus der Sicht von Eltern ist das bei der Wahl des Kinderarztes ein relevantes Thema. „Man muss das Gefühl haben, er ist an den Kindern interessiert und nimmt sie wichtig. Gleichzeitig muss auch ein guter Austausch mit den Eltern stattfinden“, sagt Lilian Klebov.
Die Schauspielerin erläutert beispielhaft Krankheit und Behandlung ihrer Nichte. „Das Entscheidende für die Genesung war auch, dass ihre Eltern in jeden Schritt der Therapie einbezogen wurden und bei ihr sein konnten“, unterstreicht Klebov. Auch aus Sicht des Arztes und Forschers ist die Rolle der Eltern und Familie sehr relevant. „Für uns Kinderärzte ist es aber auch eine Herausforderung. Jede Familie ist anders und das reicht vom sozialen Hintergrund bis hin zu, was sie zu leisten vermag“, ergänzt Kaan Boztug.

Die Frage der Medikamententestung an Kindern
In der Folge wechselt Markus Hengstschläger zum Thema Medikamente und der Frage, ob Medikamente für Kinder an Kindern getestet werden. „Es ist ein moralisches Dilemma, denn wir als Gesellschaft wollen keine Medikamente an Kindern testen“, sagt Kaan Boztug. „Somit können wir aber nicht präzise sagen, ob diese bei Kindern genauso wirken und welche Dosierung wahrscheinlich adäquat ist.“

Es liege aber auch daran, dass es – glücklicherweise – in Summe weniger pädiatrische PatientInnen gebe und daher das Interesse der Industrie an Kindermedizin und ihrer Forschung geringer sei. Forschungstechnisch beschäftigt sich Boztug mit dem Thema Kinderkrebs, ein aus seiner Sicht wissenschaftlich spannendes Gebiet. „Die Mechanismen, wie Krebs bei Kindern entsteht, sind grundlegend anders als bei Erwachsenen. Es gibt auch Sorten, die man bei Erwachsenen teilweise gar nicht sieht“, erzählt Boztug. Sein zweites Forschungsgebiet sind die sogenannten seltenen Erkrankungen.

Präzisionsmedizin und personalisierte Medizin in der Pädiatrie
Eine seltene Erkrankung betrifft per Definition höchstens einen von 2000 Mitbürgern. In Summe existieren gleichzeitig ca. 10.000 verschiedene seltene Erkrankungen. Boztug schildert das Zitat eines seiner Professoren: „Vor die Therapie hat der liebe Gott die Diagnose gestellt“. Boztug weiter: Wenn man die genetische Ursache eine Erkrankung nicht kennt, fällt es schwer, eine gute Behandlung zu etablieren. Und mit dem Wissen, dass an den Universitätskliniken jedes zweite stationäre Bett von einem Kind mit seltener Erkrankung belegt wird, ist da enorm viel zu tun“, so der Kinderarzt.

In Folge spricht Markus Hengstschläger die Themen Präzisionsmedizin und personalisierte Medizin in der Pädiatrie an. Kaan Boztug, auch wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung, illustriert die Antwort im Kontext der Kinderkrebsforschung. „Über die letzten 40 Jahre ist die Überlebensrate auf 80 Prozent gestiegen, das ist ein enormer medizinischer Erfolg. Jetzt kommt vielleicht ein Plateau, denn bei 20 Prozent spricht die Therapie nicht an, weil der Tumor offensichtlich anders ist. Wo der Unterschied liegt und wie man dennoch therapieren kann, ist ein Beispiel für Präzisionsmedizin“, skizziert Boztug.

„Das war eine Lehre in puncto Demut“
Im weiteren Verlauf erzählt Lilian Klebow von Reisen nach Uganda in iher Funktion als Ehrenbotschafterin des Jane Goodall-Instituts Austria. „Ich habe dort Kinderkrankheiten gesehen, die es hier gar nicht mehr gibt. Polio etwa“, so die Schauspielerin. „Das war eine Lehre in puncto Demut. Dankbar zu sein, dass es bei uns Spezialisten gibt, denen wir vertrauen können.“

Kaan Boztug entgegnet: „Es heißt: ,Die Reife der Gesellschaft zeigt sich, wie sie mit ihren Kindern umgeht.‘ Das kann man auch auf die Forschung ummünzen: Hier zu investieren, dient allen. Die ausreichende Förderung der Forschung ist daher mein größter Wunsch an die Zukunft“, so der Kindermediziner und Krebsspezialist vom St. Anna Kinderspital.

Der Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ ist eine regelmäßige Veranstaltungsreihe von Kurier und Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF). Das vom renommierten Genetiker Markus Hengstschläger moderierte Format zu aktuellen Themen rund um Medizin und Forschung wird als Video über die Website vom Kurier übertragen.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 23.01.2024