Musterschüler der Binnenschifffahrt
Österreich setzt moderne Kommunikationstechnologie ein, um den Güterverkehr auf der Wasserstraße anzukurbeln. Als erstes EU-Mitglied stellt das Donauland eine Infrastruktur zur Ortung der Schiffe bereit.
Alle zehn Jahre wird es ruhig auf der Donau. Zuletzt war sie 1996 so zugefroren wie im heurigen strengen Winter auch. Etwa drei Wochen warteten die Schiffführer der Güter- und Personenschiffe auf das Ende der Eiszeit. Abgesehen von der einen oder anderen Brille waren keinerlei Hilfsmittel notwendig, um festzustellen, dass natürliche Verkehrswege mitunter an natürliche Grenzen stoßen. In Zukunft soll moderne Technologie den Blick der Schiffführer schärfen, wenn offensichtliche und auch weniger offensichtliche Hindernisse ihre Wege kreuzen. Doris heißt das Flussinformationssystem (Donau River Information Services), das Österreich als erstes Land Europas einsetzen wird. Noch in diesem Quartal sollen alle 250 Binnenschiffe, die regelmäßig zwischen Aschach im Westen und Hainburg im Osten verkehren, mit Transpondern ausgestattet werden. Die Empfänger gibt es in zwei Varianten – mobil in einem Koffer oder fi x an Bord montiert. Sie ermöglichen die Ortung über Satellit (GPS, Global Positioning System). Testläufe starteten bereits im Jahr 2002 zwischen den Schleusen Freudenau und Greifenstein. Seit 2004 arbeitet die Via Donau – Österreichische Wasserstraßen- Gesellschaft daran, Basisstationen entlang des 350 Kilometer langen inländischen Donauabschnitts einzurichten.
Sanfter Einstieg
Um die flächendeckende Funkverbindung zu den jeweiligen Transpondern an Bord zu garantieren, waren insgesamt 23 Richtantennen notwendig. Bis auf eine konnten sie auf die bestehenden Mobilfunkmasten aufsetzen. Zwei Frequenzen sind für das standardisierte Übertragungsprotokoll AIS (Automated Identifi cation System) in Österreich freigeschalten. Für Aufbau und Integration der Infrastruktur erhielt der auf Schiff- und Luftfahrt spezialisierte IT- und Kommunikationslösungsanbieter Frequentis den Zuschlag. AIS kommt aus der Hochseeschifffahrt. „Dort sind seit 2002 Transponder für die Ortung der Schiffe ab einer Schiffsgröße von 300 Bruttoregistertonnen verpflichtend“, erklärt Marketa Zednicek von Via Donau. Das Unternehmen will einen „sanften Einstieg“ in eine Bestimmung, die mit Jänner 2007 auch in der österreichischen Binnenschifffahrt wirksam werden soll, sagt Zednicek. Dann wird die Oberste Schifffahrtbehörde die sogenannte „Trage- und Einschaltverordnung“ erlassen. Soll heißen: Sämtliche Personen- und Güterschiffe müssen sich mit einer eindeutigen Identifi kationsnummer (MMSI für Maritime Mobile Service Identifi cation) anmelden, sobald sie die österreichische Donau passieren. Das heurige Jahr steht im Zeichen der langsamen Eingewöhnung. Bislang hat lediglich die Behörde Doris im Einsatz. Um den Schiffführern den Einstieg in die Hightech-Welt zu erleichtern, stellt Via Donau die Transponder gegen eine Kaution zur Verfügung. Inklusive Montage kostet der Empfänger 3.000 Euro. Die Ortung aus dem Koffer kommt auf rund 5.000 Euro. Die transportablen Geräte werden an jene Schiffe verliehen, die nur selten die Donau passieren. Die EU fördert die Grundausstattung zu 50 Prozent. Nach der fi nanziellen Seite muss Via Donau nun eine mentale Hürde nehmen. Durch die Verknüpfung von verkehrsbezogenen Daten aus Telekommunikation und Informatik, kurz Telematik, wird der einzelne Verkehrsteilnehmer kontrollierbar. Der Angst vor zu viel Transparenz hält Via Donau-Chef Manfred Seitz den Sicherheitsaspekt entgegen: „Doris soll das Navigieren erleichtern und Unfälle vermeiden helfen.“
Navigationshilfe
Grundlage für die Navigation sind digitale Donaukarten, die fl ächendeckend und kostenlos zur Verfügung stehen. Eine Software mit dem Namen Ecdis Viewer visualisiert die Karten. Die Koppelung mit dem Transponder positioniert die Verkehrsteilnehmer eindeutig auf der Donau. Alle zwei Sekunden werden die Daten aktualisiert, um ein möglichst sicheres Navigieren zu gewährleisten. Wassertiefen, Pegelstände, Eisberichte und andere Informationen werden von der nationalen Leitstelle über die Basisstationen zu den Transpondern übertragen. Hans-Peter Wegscheider, Leiter des Verkehrsmanagement bei Via Donau, gibt ein Beispiel für neuralgische Punkte entlang der Donau: „Die Schlögener Schlinge zieht sich wie ein S durch die oberösterreichische Berglandschaft. Wer reinfährt, sieht nicht, ob ein anderes Schiff entgegenkommt. Dieser Abschnitt ist besonders schwer befahrbar.“ Sprit sparen und verkürzte Wartezeiten an Häfen und Schleusen sind weitere Argumente für die smarte Doris. Wer sich noch nie mit Binnenschifffahrt beschäftigt hat, muss sich das etwa so vorstellen: „Heute funkt ein Schiffführer das Schleusenpersonal an und gibt durch, wie weit er entfernt ist“, erklärt Wegscheider. Um sicherzugehen, dass er gleich passieren könne, Gefahrgut darf etwa nicht gleichzeitig mit Passagierschiffen geschleust werden, stehe Flunkern an der Tagesordnung. „Durch die eindeutige Ortung mittels GPS auf der digitalen Karte sind Wettrennen zur nächsten Schleuse obsolet“, sagt Reinhard Vorderwinkler vom Verkehrsministerium. In Zukunft soll Doris nicht nur für mehr Sicherheit auf der Donaustraße sorgen, sondern auch die Logistikkette optimieren. Via Donau lässt Verlader und Logistikdienstleister über eine Weboberfl äche ins Informationssystem. Der Schiffseigner bestimmt, wen er autorisiert. Nachvollziehbarkeit von Gütern und damit die Einbindung in ein Flottenmanagement wird so möglich. Die automatisierte Zollabfertigung von Fracht und Personendaten stellt eine weitere künftige Anwendung dar. Unklar bleibt, ob die Schiffseigner beim Technologieschub mitspielen, denn allzu viele PC gibt es laut Marketa Zednicek auf den Schiffen nicht. „Sie können zwar geortet werden, sehen aber auf dem kleinen Display lediglich, dass sich etwas nähert – wie auf einem Radar“, klärt sie auf.
Politik zieht mit
Wenn die Verkehrspolitik ihr ambitioniertes Ziel, die Auslastung des Gütertransports auf der Donau von zwölf auf 25 Mio. Tonnen pro Jahr bis 2015 zu verdoppeln, erreichen will, müssen laut Helmut Kukacka, Staatssekretär für Verkehr, rund 480 Mio. Euro in die Binnenschifffahrt fl ießen. So viel würde die Umsetzung der zehn Maßnahmenblöcke kosten, die der Nationale Aktionsplan Donauschifffahrt, kurz NAP, vorsieht. Mit der Präsentation dieser Musterarbeit hat „Österreich seine Hausaufgaben mehr als erfüllt“, steht für Kukacka fest. Dass auch sein Chef, Hubert Gorbach, hinter dem Vorhaben steht, demonstrierte er bei einem Treffen hochrangiger EUSchifffahrtsexperten in der Hofburg mit Seemannsknoten auf der Krawatte.
Ausgewählter Artikel aus Printausgabe 03/2006