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12. Dezember 2024

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„Beim einen hat man am nächsten Tag Kopfweh.“

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(Wien; Video/Text) Rund 333.000 Entscheider sowie in Summe 400.000 Leser der Tageszeitung und 4.500.000 Clients oder Abonnenten des Internet-Standard lesen und nutzen die Medienprodukte der Standard-Mediengruppe. Economy sprach mit Verlagsmanager Matthias Stöcher über Qualitäten in der Nische, über Umsatzbringer und Totengräber und über den Griff ins untere Regal beim Diskonter.

Economy: Matthias Stöcher, seit 2000, also seit 16 Jahren verantwortlich für den Vermarktungsbereich beim Standard. Welche erwähnenswerten Entwicklungen gibt es hier?
Matthias Stöcher: Die Entwicklungen waren anfänglich geprägt von der Krise des Online-Geschäftes und von der Dot.com-Krise. Seit ungefähr 2003 dann von einer langen und immer noch anhaltenden Boom-Phase, wo sich das digitale Geschäft zu unserer vollsten Zufriedenheit entwickelt hat.
Es sind nun aber sicher die nächsten Schritte der Digitalisierung dran, in Richtung weg von einem menschlichen Handel hin zu einem beispielsweise programmatischen, automatisierten Handel, und das ist eine große Trendwende.

Welche Gründe waren Deiner Meinung nach verantwortlich für den schwierigen Start von Online als Werbemedium?

Die User waren sehr schnell mit der verstärkten Nutzung der Smart-Phones in der mobilen Welt und haben die Nachrichten dort konsumiert. Bis die Werbewirtschaft nachgekommen ist, hat es zwei bis drei Jahre gedauert.

Wenn wir von der Werbewirtschaft sprechen, betrifft das direkt die Unternehmen aber auch den Agenturbereich, gibt es hier Unterschiede?
Die Agenturen sind immer einen Schritt weiter weil sie immer am nächsten am Puls der Entwicklung sind. Das ist auch ihre Aufgabe, die Entwicklungen des Marktes ihren Kunden näher zu bringen. Ich sehe aber auch andersrum einzelne Kunden, die ganz fortschrittlich unterwegs sind.

Bleiben wir noch bei den Mediaagenturen. Ein kurzer Rundruf bei Verlegerkollegen zeigt, die einen bezeichnen die Mediaeinkaufsagenturen als unverzichtbar für die Werbegelder, die anderen bezeichnen sie auch, wortwörtlich gefallen, als Totengräber im Hinblick auf die ohnehin angespannte Finanzierungslage. Stichwort Agenturboni und Jahres-Rabatte. Deine Erfahrung?

Die Mediaagenturen befinden sich in einer sehr starken Umbruchsphase, sie müssen ihre Rolle und Funktion durch die Digitalisierung auch neu finden.
Grundsätzlich ermöglichen sie ihren Kunden das Wissen über den gesamten Markt zusammen zu tragen, wo es in einem immer differenzierteren, kleinteiligeren Markt für den einzelnen Werbekunden oder Betrieb immer schwieriger wird den Gesamtüberblick zu bewahren.

Stichwort Programmatic Advertising, ähnlich einer Auktion, eine automatisierte Werbebuchungsplattform?
Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass der Standard eine Börse-Plattform anbietet, welche Werbeplätze er ab welchen Preis bereit ist zu verkaufen und auf der anderen Seite sitzen die Werbekunden unterschiedlichster Natur, die dann ab welchen Preis bereits sind die Werbeplätze einkaufen.
Dazu kommen aber eine Unzahl an Daten, wo es möglich ist, dass etwa für einen Handelskunde, der weiß, dass ein bestimmter User seinen Warenkorb schon gefüllt hat aber den Kauf noch nicht abgeschlossen hat, dieser User viel mehr Wert hat als ein User den er noch gar nicht kennt. Und für den ist er auch bereit mehr zu zahlen.

Sind hier zum Beispiel Wünsche betreffend Themen oder bestimmte Platzierungen erfüllbar?
Das geht sehr stark personenkonzentriert, ich suche mir die Zielgruppe aus nach den Merkmalen mit den Eigenschaften die ich erreichen möchte.
Nicht vergessen darf man, dass das Umfeld wo die Werbung geschaltet wird, eine große Relevanz hat. Das kennen wir auch aus allen Medienforschungsstudien. Meines Erachtens ist es daher eine Kombination aus beiden.

Der Standard hat gemeinsam mit deutschen Medien wie dem Burda-Verlag oder Gruner + Jahr einen sogenannten Code of Conduct unterzeichnet, was kann man sich darunter vorstellen?
Da geht es genau darum, dass man in diesen programmatisch automatisierten Handelsplätzen Qualität anbietet. Mein Lieblingsvergleich ist immer der:
Man kann in einen Diskonter gehen und ins letzte untere Regal greifen um sich eine Weinflasche zu holen – oder man kann zum Weinbauern seiner Wahl fahren und dort das Barrique-Fläschchen holen. Beim einen hat am nächsten Tag Kopfweh, beim anderen nicht.

Welche Rolle spielen für den Standard die sozialen Medien? Laut Österreichischer Webanalyse hat der Standard rund 4,5 Millionen Clients oder Abonnenten, auf Facebook sind es rund 280.000, also weitaus weniger.
Die erfüllen eine ganz klare Marketingaufgabe für uns zur Verbreitung unserer Inhalte. Wir besetzen sie mit unseren Qualitätsmerkmalen. Man weiß, dass die Nachrichten die von uns kommen, geprüft, noch einmal geprüft und noch einmal geprüft sind bevor sie erscheinen.
Das ist der Riesenunterschied zu all den anderen Nachrichten die uns auf den sozialen Medien begegnen. Gerade aktuell die Diskussion, jeder ist in seiner Filterblase und dort gleichzeitig konfrontiert mit sehr viel Falschnachrichten, also Fakenews. Man kann nicht mehr unterscheiden ist es richtig oder ist es nicht richtig.

Stichwort Ad-Blocker (Werbe-Blocker). Eine Studie vom letzten Sommer besagt, dass rund 70 Prozent negative Erfahrung insbesondere mit sogenannter Pop-Up-Werbung gemacht hat wo der Bildschirm mit einer Werbung komplett zu ist.
Auf der anderen Seite gibt es bei den Usern aber auch Sympathie für sinnvolle, nutzerorientierte Werbung. Und, immerhin 11 Prozent können sich aktuell auch vorstellen für eine werbefreie Website zu bezahlen.

Schaut man sich das Geschäftsmodell nur im digitalen Markt an, sieht man, dass nur eine Seite des Geschäftsmodells ausgeprägt ist, nämlich hin zur Werbewirtschaft und das es noch keine Paid-Content-Modelle oder Paywalls in Österreich oder im europäischen Raum gibt.
Gleichzeitig gibt es den Effekt der Ad-Blocker wo die User sagen, nein, ich bin nicht damit einverstanden, dass ich durch meine Sozigrafie oder durch das Anschauen der Werbung bezahle. Diese User bringen dem Medium nicht wirklich einen Mehrwert, weder in der Lesermessung noch monetär.
Und genau dort haben wir angesetzt. Wir geben dem User die Entscheidung und sagen, entweder er bezahlt uns, dann schaffen wir Möglichkeiten weniger Werbung oder keine Werbung anzubieten.
Diese Modelle oder Produkte heißen Fair-Use 1 oder 2. Oder der User sagt, er schaltet seinen Ad-Blocker auf unserer Seite aus und schaut sich die Werbung an und bezahlt damit mit seiner Soziodemografie und mit dem Ansehen der Werbung.

Der Standard hat schon länger Print und Online zusammengelegt und kürzlich auch den Verkauf neu organisiert, etwa Rubriken und Hauptblatt gebündelt. Welche Überlegungen waren hier ausschlaggebend?
Es ermöglicht uns eine noch stärkere Ausrichtung der Sales-Mannschaft zu unserem Kunden hin. Wir sehen gleichzeitig, dass sich die Produkte immer mehr vermengen oder überlappen.
Ein Beispiel dazu sind Personal-Imageinserate die einerseits das Image des Unternehmens stärken und andererseits aber klar den Zweck erfüllen Personal zu rekrutieren.
Oft können wir nicht mehr unterscheiden, ist das jetzt die eine Kategorie oder ist das die andere. Da macht das Sinn es zusammen zu fassen.

Welche neuen Ertragsmöglichkeiten siehst Du generell?
Wir sind noch ganz am Beginn des Ausbaus des programmatischen Handels, sehen dabei in Märkten wie Amerika schon Werte mit 70 und 80 Prozent.
Weiters den Ausbau von Erlösbereichen die wir bis dato bewusst ausgelassen haben. Es geht dabei um alternative Abrechnungsmodelle wo wir mehr ins Risiko einsteigen gegenüber unseren Kunden, schauen wie der Verkauf seiner Produkte auf unseren Plattformen performt und optimieren dann gemeinsam. Da sind gerade viele Tests am laufen.

Vergleichbarer Verlag auch im Qualitätssegment, die deutsche „Die Zeit“, sehr erfolgreich auch mit dem Verkauf von Reisen, Büchern, Möbeln, Kunstwerken. Ist das auch ein Thema?
Wir wollen da sehr klar unterscheiden, dass wir uns nicht als Gemischtwarenhandel sehen. Die Erfahrung die wir gemacht haben ist, dass der Leser und User uns abnimmt wenn wir die Information verbreiten, wenn wir dafür Werbung machen aber er fühlt sich nicht so wie bei einer Bank wenn er auf unserer Seite jetzt Bankgeschäfte machen würde.
Das ist der Grund warum wir bis jetzt gesagt haben nein, wir wollen da jetzt nicht selber Lagerhallen aufbauen und mit Waren füllen weil wir das nicht als unsere Kernaufgabe sehen.
Aber, sehr wohl mit Partnern zusammen arbeiten wo wir gemeinsam versuchen so was zu machen. Aber wo, wie gesagt, diese Art des Geschäftes bei den jeweiligen Partnern ist.

Medienlandschaft Österreich betreffend: ist bei Print und Online, insbesondere Print betreffend, der Markt gesättigt oder gibt es Platz für ein neues Produkt, Thema Nischen zum Beispiel?
Ich glaub’ die Qualität in der Nische wird immer ihren Platz finden, genauso wie ich glaube, dass gut gemachte Printprodukte immer ihre Berechtigung haben. Sie werden nicht verloren gehen.

(Anm. der Redaktion: Matthias Stöcher und economy-Redakteur Christian Czaak kennen einander seit 2000 aus gemeinsamen Standard-Projekten. Das daher resultierende Du-Wort wurde auch beim Interview beibehalten.)

Links

red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 20.12.2016